Die Zukunft von ESNs – wie sehen die nächsten 3-5 Jahre aus?

Prognosen sind immer schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. Beim Einsatz sozialer Netzwerke in Organisationen -auch Enterprise Social Networks (ESN) genannt- zeichnen sich einige Trends ab, die ich in diesem Blog kurz besprechen möchte.

Grundsätzlich habe ich die Beobachtung gemacht, dass Trends und Entwicklungen im Internet mit ca. 10 Jahren Verzögerung auch in den internen Intranets Einzug halten. Frühe soziale Netzwerke wie Friendster oder MySpace sind im Jahr 2002 gestartet, ab 2012 begannen die ersten Unternehmen wie BASF oder Bosch interne soziale Netzwerke zu starten.

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Für die Lektion Soziale Netzwerke unseres Web 2.0 Führerscheins habe ich mal die zentralen Funktionen dieser Softwareklasse herausgearbeitet:

  • Profile der Mitglieder (Profile)
  • Kontaktlisten (Buddy-List)
  • Nachrichten-Versand (Messaging)
  • Benachrichtigungen zu Ereignissen (Notification)
  • Aktivitätenstrom (Activity Stream)
  • Microblogs/Statusmeldungen
  • Suche (Search)
  • Integrierte Groupware zur Gruppenbildung (Groups)

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=AwVFiqyMCPo]

Da es zum damaligen Zeitpunkt keine Software mit derartigem Funktionsumfang in Unternehmen gab, wurden Produkte wie beispielsweise Jive oder Connections von IBM (mittlerweile HCL) angeschafft und eingeführt. Die Systeme füllten eine vorhandene Lücke und wurden zumindest von Teilen der Belegschaft willkommen geheißen. Gleichzeitig zeigten sich recht schnell auch einige Nachteile:

  1. Silo-Bildung: die Enterprise Social Networks begannen, ein eigenes Leben als Silo zu führen, da sie mit den restlichen Anwendungen in der Organisation nicht oder kaum verbunden waren. Natürlich funktionierte Basisdienste wie Single-Sign-On, aber schon bei der übergreifenden Suche oder Integration vorhandener Software wurde es schwierig.
  2. Web 1.0 Paradigma: der Paradigmenwechsel von Web 1.0 zu Web 2.0 (s.a. What is Web 2.0?) war weg von monolithischen Systemen die alles können, hin zu einzelnen stark spezialisierten und nur leicht integrierten Anwendungen (Beispiel: das YouTube-Video oben, das in einen Blog eingebettet ist). David Weinberger hat das recht treffend mit Small Pieces Loosely Joined beschrieben. Viele ESN-Anbieter haben sich jedoch am Web 1.0 Paradigma orientiert und versucht, die Eierlegendewollmilchsau (Kommunikation, Kollaboration, Innovation etc.) zu bauen.
  3. Interoperabilität: ESN-Software ist i.d.R. über die Unternehmensgrenze hinweg nicht oder nur sehr schwierig nutzbar. Wir sind aber gewohnt, Menschen anzurufen und E-Mails zu schicken ohne uns darum zu kümmern, welche Telefon-/Email-Software unsere Ansprechpartner verwenden. Das geht bei ESNs bis heute nicht. Nutzt Firma A Jive und Firma B Connections, ist eine übergreifende Vernetzung nicht möglich. Da die Zusammenarbeit aber nicht nur intern zunehmend vernetzt stattfindet, sondern auch in übergreifenden Wertschöpfungsnetzwerken, ist diese Funktionalität zwingende Voraussetzung. Technische Möglichkeiten gibt es, wie das Fediverse beweist. Anstrengungen in diese Richtung sind bei den ESN-Anbietern nicht zu sehen.

In den letzten beiden Jahren hat sich zusätzlich folgender Trend abgezeichnet: Office 365 verbreitet sich, unabhängig und oft sogar in Konkurrenz zu bestehenden ESNs. Die Projektteams waren oftmals ganz andere, die Anwendungsfälle und Nutzenversprechen aber sehr ähnlich. Dieser Trend wird sich fortsetzen, da fast alle Organisationen bisher das Office-Paket (WEPO: Word, Excel, PowerPoint, Outlook plus Flieserver, SharePoint und Windows) nutzen und es das in Zukunft nicht mehr als Kauf- sondern nur noch als Abomodell geben wird.

Im Paket mit Office 365 kommen neue Anwendungen wie Teams (Chat-basierte Zusammenarbeit in Gruppen), Yammer (Soziales Netzwerk), Planner (Taskboards), OneDrive (Filesharing), Stream (Videoportal), SharePoint Online (Soziales Intranet, Teamseiten, Micorsites), Flow (Automatisierung), PowerApps (schnell Mobile Apps bauen) uvm. Alle Dienste verfügen über ein zentrales Berechtigungsmodell, die Inhalte sind über den Microsoft Graph vernetzt. Die zentrale Suche auf office.com sucht in allen Inhalten, auf die der jeweilige Nutzer Zugriff hat. Dienste der künstlichen Intelligenz wie beispielsweise die Übersetzung sind in die einzelnen Anwendungen integriert und lernen mit jeder Nutzung.

Dieses Grundkonzept ist sehr nah an dem Ansatz, den ich oben mit Web 2.0 Paradigma bezeichnet habe. Das Gesamtpaket bildet ungefähr das Ökosystem ab, dass ich mir als Wissensarbeiter auch im Web zusammenstelle (LinkedIn, Telegram, Dropbox/Nextcloud, Zoom, Trello etc.). Zusätzlich spielen die Lizenzkosten von ca. € 20,- pro Monat pro Nutzer (bei Office 365 E3 Plan) den Zielen der IT wie Kostenreduktion, Senkung der Betriebskosten und Vereinfachung der Lizensierungsstruktur in die Karten.

Meine Vermutung ist demzufolge, dass die bestehenden ESNs in den kommenden 3-5 Jahren überwiegend durch Office 365 abgelöst werden. Die Rolle der offenen sozialen Netzwerke wird dabei von Yammer übernommen. Die Zusammenarbeit von Abteilungen, Projekten und Communities wird von Teams abgedeckt. Löst sich die Unternehmenskommunikation von der Leitidee des redaktionellen Mitarbeiterportals mit tiefer, hierachischer Navigationsstruktur könnte diese Funktion durch eine Kollektion von SharePoint Online Seiten übernommen werden (s.a. SharePoint Look Book).

Wie einleitend angedeutet ist die Prognose der Zukunft immer schwierig. Was denkt ihr zur Zukunft der ESNs? Wo teilt ihr meine Meinungen? Wo seid ihr anderer Meinung? Gerne unten in die Kommentare schreiben.

3 Kommentare zu „Die Zukunft von ESNs – wie sehen die nächsten 3-5 Jahre aus?“

  1. Hallo Simon, ich teile deine Beobachtungen. Denke auch, dass Office 365 in den nächsten Jahren Standard werden wird. Es gibt dort ja zwischenzeitlich viele Ansätze für ein „Rundum-Paket“. Zwei Probleme glaube ich noch zu erkennen:
    1. Die Datensicherheit durch Server innerhalb der EU ist zwar gegeben, aber viele Datenschützer haben mit O365 ein Problem . Deshalb wird O365 in Behörden und Schulen (siehe Digitalpaket und hessischen Datenschutzbeauftragten) nicht so schnell Einzug halten.
    2. die Ausbildung der Mitarbeiter – Harald Schirmer hat da ja einiges positives dazu bei sich entwickelt und erreicht- aber wie machen das kleinere Unternehmen ? Zur Zeit sehe ich auch bei Fortbildungsträgern auch eher Inselfortbildungen in der Tradition „W-E-P-O“.
    Mit freundlichen Grüßen
    Dieter

    1. Zu 1.) ja, ich bin selbst etwas erstaunt, in wie vielen Organisationen Cloud vor 5 Jahren noch undenkbar war, aber heute ist es fast schon selbstverständlich. Wie verbreitet “klassische” ESNs in Schulen und Behörden sind, weiss ich allerdings nicht.

      Zu 2.) ich glaube die Rolle der formalen Weiterbildung bei solchen Tools wird oft überschätzt. Klar helfen Maßnahmen beim ersten Einstieg. Da aber mittlerweile jeder Kegelverein WhatsApp, Google Drive, Skype & Co. für die Koordination nutzt, wird sich dieses Wissen auch über soziales Lernen fortpflanzen.

  2. Pingback: Collaboration: Nicht die Werkzeuge sind die Herausforderung, das gemeinsame Verständnis und Leben von Zusammenarbeit ist es – StefanPfeiffer.Blog

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